Der populistische Zirkus: Wie Bürgergeld zur Ablenkung missbraucht wird
Gestern saß ich in einer Veranstaltung, bei der ein Politiker sprach. Es ging um die üblichen Themen, die die Menschen bewegen – oder besser gesagt: von denen man will, dass sie sie bewegen. Und natürlich blieb uns auch hier nicht erspart, was inzwischen wie ein schlecht inszeniertes Drama wirkt: das Bürgergeld.
Immer dieselben Floskeln. „Leistung lohnt sich nicht mehr“, „Der Abstand zwischen Arbeit und Bürgergeld ist zu gering“, „Das System muss reformiert werden“. Sprüche, die nach zig Diskussionen längst widerlegt wurden. Doch sie werden wieder und wieder hervorgekramt. Warum? Weil sie funktionieren. Weil sie populistisch sind. Weil sie einfacher sind, als sich den echten Problemen zu stellen.
Aber lassen Sie mich Ihnen etwas sagen: Das ist nicht nur absurd, es ist gefährlich. Denn während wir auf die Schwächsten unserer Gesellschaft einprügeln, lenken wir von den wahren Baustellen ab. Die Diskussion um das Bürgergeld ist ein Zirkus, der von dem Versagen bei echten Reformen ablenken soll.
Das wahre Problem: Niedriglöhne und ein kaputtes System
Die Wahrheit ist: Das Bürgergeld ist gesetzlich definiert als Minimum, das man zum Überleben braucht. Es wurde mehrfach berechnet, und ist ein maximal negativ schöngerechnetes Ergebnis, welches zeigt, dass Menschen nicht gesund über die Runden kommen können – lass nur nicht im Haushalt kaputt gehen. Wenn der Abstand zwischen Bürgergeld und Löhnen so gering ist, liegt das nicht daran, dass das Bürgergeld zu hoch ist – sondern daran, dass viele Löhne zu niedrig sind und das Steuersystem noch den letzten Schub dafür gibt.
Deutschland hat einen gigantischen Niedriglohnsektor. Menschen arbeiten Vollzeit und können trotzdem nicht von ihrem Gehalt leben. Sie müssen aufstocken – mit dem Bürgergeld. Die Debatte sollte also nicht lauten: Wie kürzen wir das Bürgergeld? Sie sollte lauten: Warum zahlen Unternehmen ihren Beschäftigten so wenig, dass sie ohne Hilfe nicht überleben können? Oder: Irgendwas mit Steuern in Deutschland…
Populismus statt Lösungen
Doch statt diese drängenden Fragen zu stellen, wird lieber nach unten getreten. Es ist einfacher, auf die 16.000 Totalverweigerer im Bürgergeld-System zu zeigen – eine winzige Zahl im Vergleich zu den Problemen, die Unternehmen schaffen, die systematisch Steuern hinterziehen, Subventionen abgreifen oder auf Kosten ihrer Mitarbeiter Profite maximieren.
Allein der Vergleich macht klar: Während Betriebsprüfer im Finanzamt fehlen und uns Milliarden an Steuereinnahmen entgehen, führt man eine öffentliche Debatte über ein paar Krümel beim Bürgergeld. Das ist nicht nur populistisch, das ist dumm.
Eine Schande für christliche Werte
Besonders absurd ist es, wenn eine christdemokratische Partei dieses Thema zum Kern ihrer Rhetorik macht. Wo bleibt der christliche Gedanke, die Schwachen zu schützen und die Gemeinschaft zu stärken? Wo bleibt der Einsatz für Gerechtigkeit und Miteinander? Es ist einfach nur beschämend, wie oft dieses Thema hervorgeholt wird – während man sich weigert, über echte Reformen zu sprechen.
Wir könnten über eine Vermögenssteuer sprechen bzw. die nie angegangene Reform seit der Kohl Zeit. Über gerechte Erbschaftsregelungen. Über gut ausgestattete Finanzämter, die Steuerbetrug endlich wirksam bekämpfen. Aber nein, stattdessen wird lieber nach unten getreten, während die wirklich Großen weiterhin ungeschoren davonkommen.
Bürokratie, Steuersystem und die deutsche Service-Wüste
Ein weiteres Symptom unserer dysfunktionalen Politik ist, dass selbst diejenigen, die arbeiten und Unterstützung benötigen, häufig leer ausgehen – nicht, weil sie keinen Anspruch hätten, sondern weil sie in der deutschen Bürokratie feststecken. Wohngeld, Kinderzuschlag oder andere Förderungen sind theoretisch verfügbar, doch praktisch sind sie für viele unerreichbar.
Der Grund? Deutschland bietet keinen Service, sondern lässt Menschen als Bittsteller dastehen. Um an Unterstützung zu kommen, müssen sie sich durch Antragsdschungel, Formulare und Behördenkämpfe quälen. Wer hat dafür Zeit oder Kraft, wenn er ohnehin schon am Existenzminimum lebt? Viele scheitern schlicht an der Bürokratie – oder wissen nicht einmal, dass sie Anspruch auf Unterstützung hätten.
Die Zahlen sprechen Bände
Ein trauriges Beispiel: Laut Bundesregierung / Stat. Bundesamt beantragen rund 50 % der Menschen, die Anspruch auf Wohngeld hätten, es nicht. Das bedeutet, dass Unmengen an Unterstützungsgeldern nicht dort ankommen, wo sie dringend gebraucht werden. Warum? Weil der Prozess viel zu kompliziert ist. Wer in Deutschland Hilfe braucht, steht vor einem System, das wie ein Feind wirkt – nicht wie ein Partner.
Anstatt den Zugang zu vereinfachen, wird alles künstlich verkompliziert. Diejenigen, die Unterstützung benötigen, werden entmutigt oder schlicht ignoriert. Gleichzeitig gibt es für Menschen mit großem Vermögen oder Unternehmen, die Steuerschlupflöcher nutzen, Experten, die alle Tricks kennen. Während arme Menschen durch das Raster fallen, umgehen die Reichen das System gekonnt.
Ein kaputtes Steuersystem – und eine unfaire Lastenverteilung
Deutschland hat ein Steuersystem, das Menschen mit niedrigen Einkommen stärker belastet als jene, die wirklich zahlen könnten. Der soziale Aufstieg wird so nahezu unmöglich gemacht. Während Geringverdiener oft über die Lohnsteuer viel von ihrem Gehalt abgeben müssen, fehlt es an wirksamen Maßnahmen, um hohe Einkommen, Erbschaften oder Vermögen fair zu besteuern.
Das Resultat? Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Wer wenig hat, wird durch ein kompliziertes und unbarmherziges System noch weiter nach unten gedrückt, während die, die mehr beitragen könnten, weiterhin ungeschoren davonkommen. Das ist kein Versehen – es ist systematisch.
Deutschland: Wo Wandel schwerfällt
Diese Probleme zeigen auch etwas Grundlegenderes: Deutschlands Unfähigkeit, Wandel zuzulassen. Unser System wirkt wie aus einer anderen Zeit, festgefahren in den 90ern. Es ist geprägt von einer Bürokratie, die auf Misstrauen basiert, und einem Steuersystem, das die Kleinsten belastet, während die großen Player fast ungestört weitermachen.
Ein modernes, gerechtes System würde auf Service setzen: proaktive Unterstützung statt ewiges Bitten. Digitale Anträge, transparente Prozesse, einfache Zugänge – all das wäre möglich. Doch hier scheitern wir, während andere Länder längst zeigen, wie es besser geht. Hallo Estland, welches uns laut Aussage der dortigen Verantwortlichen wohl um 20 Jahre voraus ist.
Verdrossenheit als Ziel?
Manchmal wirkt es, als sei das alles kein Zufall. Es fühlt sich an, als sei die Politik entweder unfähig oder absichtlich untätig. Ein kaputtes Steuersystem, das Reichen Schlupflöcher lässt und Arme bestraft. Ein bürokratisches Chaos, das die Menschen frustriert. Und eine Debatte, die sich auf die Schwächsten konzentriert, während die wirklich großen Probleme ignoriert werden.
Das alles könnte aus einem Drehbuch stammen – „Wie man Menschen in die Verdrossenheit treibt und Unruhe stiftet“. Es ist schwer, nicht zynisch zu werden, wenn man sieht, wie offensichtlich die Probleme sind und wie wenig passiert, um sie zu lösen.
Ein Aufruf zur Veränderung
Wenn wir nicht bald handeln, destabilisieren wir uns selbst immer und immer mehr von alleine. Da brauchen wir nicht einmal mehr den Einfluss und die „Hilfe“ von Staaten, deren Ziel es ist, uns zu destabilisieren. Wir brauchen ein gerechteres System, das Reichtum besteuert und Arbeit belohnt. Ein einfaches und zugängliches Hilfesystem, das nicht auf Misstrauen, sondern auf Unterstützung basiert. Und eine Politik, die den Mut hat, echte Reformen anzugehen – statt sich in populistischen Debatten zu verlieren.
Es ist Zeit, dass wir uns von den 90ern verabschieden und endlich im 21. Jahrhundert ankommen. Alles andere wäre ein Verrat an den Menschen, die auf dieses System angewiesen sind – und an unserer gemeinsamen Zukunft. Dieser Populismus muss ein Ende haben. Es ist nicht christlich, es ist nicht demokratisch, und es ist vor allem nicht zukunftsfähig. Wenn wir über Reformen sprechen wollen, dann bitte über die, die unser Land gerechter machen – nicht über die, die die Schwächsten noch weiter drangsalieren.
Noch kein Kommentar, Füge deine Stimme unten hinzu!